»7 Wochen ohne Meckern über Bauch, Beine und Co.« – Ein ungewöhnliches Experiment nicht nur für die Fastenzeit
Spieglein, Spieglein an der Wand …«. Frauen und Mädchen nehmen sich meist kritisch unter die Lupe. Das Ergebnis ist selten ein zufriedener Blick, sondern oft das selbstkritische, in extremen Fällen das selbstzerstörerische Urteil: »Mangelhaft! So, wie ich bin, bin ich nicht schön genug.«
Laut einer Studie der Kosmetikindustrie finden sich nur zwei Prozent aller Frauen in Deutschland schön. Über neunzig Prozent aller Mädchen würden mindestens einen Aspekt ihres Erscheinungsbildes ändern, wenn sie das könnten. Der Busen zu klein oder zu groß, die Lippen nicht voll genug, die Nase zu lang. Oberstes Schönheitsmerkmal ist das (Leicht)Gewicht. Schönheit fängt frühestes bei Konfektionsgröße 38 an. Mehr ist von Übel.
Julia Warkentin (38) boykottiert ihre Waage. Sie hat sich verabschiedet vom täglichen Kontrollblick auf die Waage. Mit Geschmack und erhobenen Hauptes trägt sie Konfektionsgröße 44. Vom Versuch, sich um eine oder zwei Kleidergrößen runterzuhungern, hat sie sich verabschiedet. Aber den bedauernden Blick in den Spiegel kennt die Kulturwissenschaftlerin nur allzu gut. Der endete bei ihr genau wie bei den allermeisten Frauen: Mit dem Gefühl, nicht mithalten zu können mit den Bildern der Models in den Katalogen und Zeitschriften.
Julia Warkentin hat gelernt, sich nicht länger dem Diktat eines von Medien vermittelten Körperbildes zu beugen. »Ich habe geübt, mich so zu mögen und anzunehmen wie ich bin. Nicht perfekt, aber gut genug«, sagt sie.
»Ich habe angefangen, mich ganz bewusst im Spiegel anzuschauen und mich an den Sachen zu freuen, die ich gut an mir finde«, beschreibt sie einen wichtigen Schritt auf ihrem Weg, Freundschaft mit dem eigenen Körper zu schließen.
Auf diesem Weg möchte sie möglichst viele Menschen, Frauen und Männer, mitnehmen. Julia Warkentin schlägt vor, dazu die Zeit vor Ostern zu nutzen, die traditionell als Fastenzeit gilt. In ihrem gerade erschienenen Fastenkalender geht es nicht um eine Blitzdiät, eher um ein Langzeitprogramm. Ihr Vorschlag lautet, aus dem gewohnten Trott von Selbstkritik und Unzufriedenheit auszubrechen und auszuprobieren, wie sich das anfühlen kann, »7 Wochen ohne Meckern über Bauch, Beine und Co.« zu leben. Statt wie früher in der Fastenzeit auf Fleisch und Eier oder, wie heute weit verbreitet, auf Süßes oder Alkohol zu verzichten, lädt sie ein, sieben Wochen lang negative Gedanken über das eigene Aussehen zu vermeiden und gezielt zu trainieren, Ja zu sich selbst zu sagen.
Julia Warkentin gibt für jeden Tag zwischen Aschermittwoch und Ostersonntag eine Anregung, die helfen soll, Freundschaft mit sich selbst zu schließen und die eigene Schönheit zu entdecken.
Das Fastenexperiment beginnt mit einer Bestandsaufnahme. Welche Sätze und Gefühle bestimmen mein Denken über mich? Wie wohl fühle ich mich in meiner Haut? Klar, dass die möglichst ehrlich beantwortet werden sollte. Am besten in einem Fastentagebuch.
Sich klarzumachen, dass man Kalorien zum Überleben braucht, statt jede Kalorie als Feind anzusehen, ist eine weitere Anregung. Julia Warkentins Rezeptvorschläge machen Appetit darauf, sich selbst nicht weiterhin täglich Bewertungen, Komplexe und Mäkeleien zu servieren: Stattdessen: den Kampf ums Gewicht sieben Wochen lang aussetzen und jede Mahlzeit bewusst genießen und auf die Signale des Körpers achten!
Zugegebenermaßen lang ist der Weg, sich mit den Eigenheiten und Körperteilen zu versöhnen, die man sich selbst wohl kaum so ausgesucht hätte, wenn man gefragt worden wäre. »Das fühlt sich an, wie einem Feind die Hand zu reichen«, weiß Julia Warkentin. Ist aber aus ihrer Sicht nötig, weil die permanente Unzufriedenheit sonst Kraft und Energie raubt.
Julia Warkentins 47 Impulse laden mit Witz, Einfühlungsvermögen und Tiefgang zu einem veränderten Blick aufs Leben und sich selbst ein. Dabei macht sie keinen Hehl daraus, wo für sie die eigentliche Quelle der Selbstannahme ist: Im Glauben daran, eine geliebte Tochter Gottes zu sein. Und als solche – ausgestattet mit königlicher Würde – durch den Tag zu gehen. Besser gesagt: zu schreiten! Und wenn es Rückschläge in alte Muster gibt? Wenn Aschenputtel statt Königstochter zum Vorschein kommt, weil Umlernen gar nicht so einfach ist? »Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen!«
Karin Vorländer
Warkentin, Julia: 7 Wochen ohne Meckern über Bauch, Beine & Co. Der etwas andere Fastenkalender, Neukirchener Aussaat, 80 S., ISBN 978-3-7615-5913-0, 8,99 Euro